Problemstellung: Quantifizierungen der
Herzratenvariabilität (HRV) erlauben eine Beurteilung sympathischer („stress-bezogener“)
und parasympathischer („entspannungsbezogener“) Einflüsse. Ein
dauerhaftes Überwiegen sympathischer Erregung kann mit einem erhöhten
Erkrankungsrisiko (z.B. für Herzleiden, Neuropathien, Depression)
assoziiert sein. Im Gegensatz dazu haben Maßnahmen wie Sport,
Medikamente oder Psychotherapie einen günstigen Einfluss auf Gesundheit
und HRV, weshalb diese als leicht zu messender Indikator für
Therapiewirkungen gilt. Stretching („Muskeldehnung“) ist eine
nebenwirkungsarme, preiswerte und überall durchführbare Maßnahme, die
für viele Risikopatienten geeignet ist. - Wir stellten uns die Frage, ob
Stretching die HRV beeinflusst.
Methode: Im Rahmen einer
laufenden Studie wurden bislang 11 gesunde gut trainierte männliche
Kraftsportler eines Sportstudios (Alter: 24 bis 44 Jahre) vor und 20
Tage nach Beginn eines Stretchingprogramms mit täglichem Training
untersucht. Als Zielparameter werden Lebensgewohnheiten,
Persönlich-keitseigenschaften, Befindlichkeiten, die Flexibilität in
wichtigen großen Gelenken und die HRV (während ruhigem Sitzen,
Stretching, Liegen und Orthostaste) mit dem Polar®-Advantage erfasst.
Ergebnisse: Neben einem Trend
zu verbesserter Befindlichkeit am Tag 20, verzeichneten v.a. vagale
Indikatoren der HRV - während Ruhe (RMSSD Tag 0: 26+/-14 ms, Tag 20:
52+/-26 ms; pNN50 Tag 0: 4+/-4 %; Tag 20: 13+/-8 %) und Intervention (RMSSD
Tag 0: 21+/-8 ms, Tag 20: 35+/-15 ms; pNN50 Tag 0: 2+/-1 %; Tag 20:
6+/-3 %) - im Verlauf des 20-Tage-Programms einen signifikanten
(p<0.01) Anstieg. Über diesen globalen Befund hinaus ergaben sich -
unabhängig vom „Dehnungserfolg“ - Zusammenhänge zwischen
HRV-Steigerungen und Lebensalter: Bei „Älteren“ stieg die HRV deutlich
stärker.
Interpretation: RMSSD und pNN50
beschreiben u.a. die vagale Aktivität. Alle drei Parameter haben sich im
Verlauf des 20-tägigen Stretchingprogramms eindeutig im Sinne einer
(wünschenswerten) vermehrten parasympathischen Aktivierung verändert.
Das Ausmaß ähnelt dem therapeutischer Interventionen (Medikamente,
Sport, Psychotherapie). Entgegen unseren Erwartungen waren die Effekte
vom Stretching-Erfolg unabhängig. „Ältere“ Studienteilnehmer erzielten
einen geringeren Dehnungszuwachs, waren aber weitaus „vagotoner“ als die
muskulär flexibler gewordeneren jüngeren Teilnehmer.
Schlussfolgerungen: Vor dem
skizzierten Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass Stretching besonders
bei „älteren“ Männern günstige Effekte auf Herzfunktion und autonomes
Nervensystem ausübt. Möglicherweise können auch Leistungssportler
Stretching mit Gewinn zur Stabilisierung der „autonomen Balance“ nutzen.
Über noch zu untersuchende „Vernetzungen“
scheinen Herz und psychisches Befinden günstig mitzureagieren. Sollten
sich die angedeuteten Zusammenhänge bestätigen, würden sich damit - z.B.
via Stressreduktion und kardiorespiratorische Ökonomisierung -
interessante neue Ansätze für präventivmedizinische Maßnahmen und
innovative Behandlungsansätze von Krankheiten eröffnen. |